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Erfolgsgeschichte 5 - Herr E. (35)

Donnerstag, 17. September 2020

Persönliches:

  • Zivilstand: ledig   
  • Kinder: damals keine, heute eine Tochter
  • Ausbildung: kaufmännischer Angestellter
  • Wie lange arbeitslos: 3.5 Jahre
  • Wie lange im maxi.mumm: 13 Monate
  • Wie lange wieder im ersten Arbeitsmarkt: seit vier Jahren 

 

maxi.mumm: Wie kam es zu Ihrer Arbeitslosigkeit?

Herr E: Nach meiner Lehrzeit ging ich in die RS, danach hatte ich eine Vollzeitanstellung als Sachbearbeiter. Nach sechs Jahren wechselte ich meine Arbeitsstelle. Kurz davor hatte ich mich beim Fussballspielen am Fuss verletzt. Es folgten ganz viele weitere kleine Sachen, welche mir als Ganzes einfach zu viel wurden. Es bahnte sich schliesslich die Depression an, welche mich in den nächsten Monaten massiv ausbremste. Noch in der Probezeit wurde mir bei der neuen Stelle gekündigt und ich kam aufs RAV.

maxi.mumm: Hatten Sie gespürt, wie sich diese Depression ankündigte? Hatten Sie gewisse Veränderungen wahrgenommen?

Herr E: Es hatte sich schon im Kleinen angebahnt, als ich noch am alten Arbeitsplatz tätig war. Ich war zunehmend abwesend, weniger ausgelassen. Ich meldete mich zu Beginn meiner Arbeitslosigkeit jedenfalls schneller beim Psychologen als auf dem RAV, was mir sofort auch Einstelltage und finanzielle Einbussen einbrachte. Ich merkte aber bald, dass es für mich schwer ist mit diesem fremden Psychologen über meine Gefühle zu sprechen. Das klappte nicht auf Anhieb. Mit einem zweiten Psychologen ging es schon besser. Ich machte ganz schwierige Zeiten durch. Heute würde ich sagen: «Ig ha gspunne» Ich konnte nicht schlafen, ging mitten in der Nacht Velofahren, mir war alles egal usw. Ich konnte und wollte einfach nichts mehr. Ich wusste aber tief in meinem Inneren, dass ich da wieder rauskommen werde – irgendwie ein Urvertrauen. Das gab mir auch eine gewisse Gelassenheit und den Halt, nicht in die Drogen abzurutschen.

In dieser Zeit begleitete mich ein sehr guter Freund, der immer für mich da war. Ich konnte mit ihm über alles sprechen. Auch der Sport war damals wie heute eine sehr grosse Stütze für mich. Ich spiele Fussball, da wusste niemand etwas von meinen Problemen. Ich spielte den Coolen, trainierte auch die Junioren, schaltete ab und war in meiner Vorbildfunktion völlig präsent. Es merkte – bis auf ganz Wenige – niemand, wie es eigentlich in mir drinnen aussah.

Ich bekam auch Medikamente verschrieben. Da hatte ich aber Schwierigkeiten mit der Dosierung. Ich realisierte selber, dass ich dazu neige, diese Medikamente zu missbrauchen. Ich beobachtete zudem, dass ein Kollege von mir durch die Einnahme von Antidepressiva eine Persönlichkeitsveränderung durchmachte. Deshalb hörte ich wieder auf mit den Medikamenten.

maxi.mumm: Wie war der Start im maxi.mumm für Sie?

Herr E.: Ich startete zuerst in der Bewerbungswerkstatt. Das stimmte für mich. Nach einem Monat meinte der Coach, dass das Programm Velolieferdienst mir guttun würde. Dort zu starten war aber hart!

maxi.mumm: Wie meinen Sie das?

Herr E.: Ich war vor dieser schweren Zeit viel in Langenthal unterwegs, auch im Ausgang. Ich war sportlich engagiert und auch von da her kannte ich viele Leute in den Läden und auf den Strassen. Mich mit der maxi.mumm-Leuchtweste in der Öffentlichkeit zu zeigen, als Sozialhilfebezüger in die Läden rumzulaufen und auf dem Velo quer durch Langenthal zu fahren – das war für mich am Anfang ein unmöglicher Gedanke. Und ich wehrte mich auch dagegen.

Mein Umfeld wusste schon, dass ich stellensuchend bin. Das sind andere aber auch. Aber dann im maxi.mumm zu landen…  Es wissen lange nicht alle Leute in Langenthal, was das maxi.mumm wirklich macht, und es wird oft mit negativ eingestellten Sozialhilfebezügern assoziiert. Deshalb hatte ich einfach keine Lust auf blöde Fragen oder Bemerkungen. Unter Gleichbetroffenen zu arbeiten war für mich eher belastend. Ich fühlte mich immer wieder als Versager.

Trotzdem: Wenn ich so zurückblicke, war es alles in allem eine coole Zeit. Die persönlichen Kontakte zu einzelnen Teilnehmenden waren eine Bereicherung für mich. Menschen mit ganz verschiedenen Ansichten kennengelernt zu haben, an die ich sonst nie geraten wäre, öffnete mir auf spezielle Art die Augen.

Zudem war es für mich sehr gut, dass ich ohne Leistungsdruck arbeiten konnte. Das war ideal als Übergang vom «nichts tun» zurück in den ersten Arbeitsmarkt. Weil ich wusste, dass es kein bezahlter Job war, spürte ich auch nicht den Erwartungsdruck an mich selbst, etwas liefern zu müssen. Das wäre in meiner damaligen gesundheitlichen Situation grad kontraproduktiv gewesen. Denn die Depression war immer noch ein Thema zu dieser Zeit.

maxi.mumm: Inwiefern spielte es für Sie eine Rolle, dass für die Dauer der Programmteilnahme im maxi.mumm die Sozialhilfebeiträge nicht rückzahlpflichtig sind?

Herr E.: Das war für mich eine sehr wertvolle Tatsache. Das half sicherlich auch, den Druck von mir zu nehmen.

maxi.mumm: Was waren die ersten Gedanken, als Sie vom maxi.mumm hörten?

Herr E.: Die Bewerbungswerkstatt war okay für mich. Die Arbeit in einem Programm brauchte schon Überzeugungskraft des Coaches. Ich wollte allerdings die Teilnahme in der Bewerbungswerkstatt nicht gefährden und willigte schliesslich ein. Da ich jedoch einer der Betriebsleiter aus meiner Schulzeit kannte, löschte es mir grad wieder ab und ich ging nicht mehr zur Arbeit. Es folgte eine erste Verwarnung, die mich wahnsinnig aufregte. Ich hasse solche Drohbriefe. Aber es hatte dieses Schreiben gebraucht, damit ich verstand, dass ich es nun anpacken muss, wenn ich aus dieser Spirale wieder rauskommen wollte.

maxi.mumm: Was war Ihre Motivation, zurück in die Arbeitswelt zu wollen?

Herr E.: Finanzielle Unabhängigkeit. Vom vollen Lohn zu 70 Prozent Arbeitslosengeld vom RAV bis zum Existenzminimum vom Sozialdienst – das kann es ja nicht sein für den Rest meines Lebens.

maxi.mumm: Wie konnte Ihnen das maxi.mumm bei Ihrer Integration in den Arbeitsmarkt Unterstützung bieten?

Herr E.: Für mich drehte sich alles um die Bewerbungswerkstatt. Das Velofahren empfand ich eher als Mittel zum Zweck. Trotzdem möchte ich diese Zeit nicht missen: Ich war am Abend wieder müde, konnte die Tagesstruktur wiederherstellen. Das kombiniert mit dem Sport in der Freizeit gab mir das Selbstvertrauen wieder bereit zu sein für den ersten Arbeitsmarkt.

maxi.mumm: Was hat sich in Ihrem privaten Leben verändert, seit Sie wieder im Arbeitsmarkt stehen?

Herr E.: Ich bin Vater geworden (lacht).

Die Anstellung und damit wieder im ersten Arbeitsmarkt zu stehen - im ganzen System wieder teilzunehmen - hat mir mein Leben gerettet! Die Rückfallgefahr in eine Depression ist schon da, aber ich weiss heute wie ich diese bekämpfen würde. Da helfen mir aber sicher auch meine Partnerin und meine Tochter, dass es niemals wieder so weit kommt.

Manchmal, wenn ich heute in einer Gruppe so einzelne Menschen über Dieses und Jenes sprechen höre, denke ich mir: «Ihr wisst doch gar nicht, von was ihr sprecht.» Ich habe halt schon Hochs und Tiefs erlebt, aber eben – das wissen viele nicht. Ich habe mein Urvertrauen nie verloren, wurde aber erst in den letzten Jahren richtig erwachsen.

Mein aktueller Chef kennt mich als konstanten Mitarbeiter. Er weiss nichts von meiner Vergangenheit. Beim Vorstellungsgespräch konnte ich meine Vergangenheit und Lücken clever umgehen. Er fragte kaum über die Vergangenheit, also erzählte ich auch nichts.

maxi.mumm: Wie sieht Ihre finanzielle Situation aus?

Herr E.: Das Arbeitslosengeld damals hat mir gut gereicht. «Wozu dann beeilen?», dachte ich mir. Ich stellte fest, das ganze Sozialsystem kann auch ausgenutzt werden. Aber schlussendlich habe ich rechtzeitig gemerkt, dass mich dieses Verhalten nicht weiterbringt.

Die Anmeldung beim Sozialdienst war dann schon schwieriger für mich. Da ging ich erst hin, als ich fürs Wochenende kein Geld mehr hatte und mir nichts mehr zu Essen kaufen konnte.

Ich habe Fr. 3500.-- Schulden bei meinem Vater für Miete und Krankenkasse. Diese sind aus der Zeit, in der ich wirklich nichts mehr im Griff hatte. Dass ich meinen Vater um Geld bitten musste, war schon mit Scham verbunden und eine riesige Überwindung für mich. Aber ich wusste keine andere Lösung. Er will das Geld zwar nicht mehr von mir, aber ich werde es ihm ganz sicher zurückzahlen, so viel Stolz habe ich (lacht).

maxi.mumm: Welche Tipps geben sie den jetzigen Teilnehmenden im maxi.mumm mit auf den Weg?

Herr E.: Ein minimalistisches Denken und Handeln kann einem auch einen ‹Haken› fürs Leben stellen. Und: Eigentlich ist es ein kurzer Weg in den Arbeitsmarkt, und doch kann er lange sein. In meinem Fall waren es dreieinhalb Jahre. Also: «Durchhalten lohnt sich.»

 

Text: Manuela Bohrer

 

 

Daniela Häusler